Onkel Hermann spricht aus dem Off

Es ist still. Ich bin wütend und hilflos. Normalerweise gehe ich in solchen Momenten hinaus auf den Flur, laufe irgendjemand über den Weg, schwätze ein paar Worte oder steige in den Aufzug, fahre hinunter in die Cafeteria, trinke etwas, sehe irgendwelche Leute, rede belangloses Zeug und spüre, wie sich die Spannung in meinem Bauch langsam aufzulösen beginnt.

Heute funktioniert diese Taktik nicht, das riesige Gebäude ist leer, nirgendwo ein Mensch. Mit Sicherheit hocken ein paar Bundesbedienstete in einem Gemeinschaftsraum im Keller und trinken behaglich eine Flasche Bier. Wahrscheinlich grinsen sie über mich und fragen sich scheinheilig: Wie kann sich ein Abgeordneter in der Silvesternacht mit seinen Scheißakten beschäftigen?

Nein, nein, das werden sie nicht fragen, denn sie sind abgebrüht. Sie haben die Damen und Herren sinnlos betrunken erlebt, weinend oder haltlos schreiend, nur weil sie lächerliche Machtpositionen verloren haben. Nein, sie kann nichts mehr erschüttern, nicht einmal ein Geschlechtsakt auf dem Flur zwischen Bündnis 90/Die Grünen und Christlich-Sozialer Union.

So etwas soll sich unlängst ereignet haben, nachts um drei. Der die Stille kontrollierende Bedienstete hat blubbernd vor Vergnügen nur verlauten lassen: »Oh, Verzeihung, ich wusste nicht, dass Sie noch arbeiten.«

Die Dame von den Alternativen hat hysterisch gekreischt, und der Christlich-Soziale war augenblicklich impotent. Sic transit gloria mundi.

Ich habe mir für ein paar hundert Mark diese Schreibmaschine gekauft, eine japanische Brother AX, das meistgekaufte Modell der Welt. Ich will nicht, dass man mich über solche Lächerlichkeiten wie Papier und Schreibmaschinentyp identifizieren kann, denn garantiert wird mich eine Horde von Journalisten suchen.

Ich kann jetzt schon mit Sicherheit voraussagen, dass der Generalbundesanwalt dieses Manuskript Zeile für Zeile untersuchen lassen wird: Hat da jemand das Vaterland verraten? Selbstverständlich werde ich als Nestbeschmutzer gelten, und ebenso selbstverständlich wird jemand auf die Idee kommen, mir nachzusagen, ich hätte Millionen für diesen Bericht kassiert. Die Boulevardzeitungen werden titeln: Bonn zittert.

Der Verkäufer der Schreibmaschine hat versichert, dieser Typ sei robust, nicht kaputtzukriegen und im Falle eines Falles leicht zu reparieren. Seltsamerweise habe ich erwartet, dass dieses Maschinchen nahezu lautlos das Papier mit Zeichen belegt. Das ist nicht so. Es rattert enorm in die Stille, aber es vermittelt mir immerhin das Gefühl, wirklich zu arbeiten.

Drüben auf der anderen Rheinseite vor dem niedrig hingestreckten Buckel des Siebengebirges schießen die ersten Raketen hoch. Väter werden ihre Söhne anschreien: »Kannst du denn nicht bis Mitternacht warten?« Was liegt dort drüben eigentlich? Das südliche Ende von St. Augustin? Ist das Oberdollendorf oder Vinkel? Ich weiß es nicht, ich arbeite seit zwei Jahrzehnten hier und weiß es nicht.

Ich bin sehr unsicher, oder besser gesagt: Ich schwanke. Soll ich diese Schmuddelgeschichte öffentlich machen oder schweigen? Zuweilen schießen mir Formulierungen in den Sinn, wie etwa: »Sie waren verdammt gründlich, sie setzten ein Zeichen. Sie schnitten ihm den Schwanz und die Hoden ab und stopften sie ihm in den Mund.« Ich weiß, das klingt schockierend, und ich weiß, das hat etwas von klebriger Effekthascherei. Aber das war eine Realität in einer ganzen Kette brutaler Realitäten, und es geschah in dieser Welt.

Wenn ich Ihnen versichere, dass ich wütend bin, so hat das viele Gründe. Wütend bin ich, dass das alles überhaupt passiert ist, weil Behörden versagten, weil wie üblich jeder jedem die Verantwortung zuschob, um die eigene Haut zu retten. Wütend bin ich auch, weil der Untersuchungsausschuss des Bundestages so elegant am Rande der Wahrheit entlangtänzelte und dabei jede einfache Erkenntnis unter Wortblasen verbarg. Und wütend bin ich zudem über mich selbst. Warum quäle ich mich seit Tagen, warum frage ich mich überhaupt, ob das, was ich tun will, richtig ist? Ich muss es tun.

Ich gelte als ein Zeitgenosse, der mit allen Dingen sehr leise, fast behutsam umgeht. Was werden meine Gefährten sagen, wenn sie erfahren, dass ich diesen Bericht geschrieben habe? Sie werden es zunächst nicht glauben, das ist ganz sicher. Die Erkenntnis wird über sie kommen, wie es in dieser kleinen Stadt so oft geschehen ist. Es wird sein, als eröffnete ihnen einer der Geheimdienste: Er war jahrelang ein Spion!

Zwar kann ich jedes Detail beweisen, aber ich bin ein zu alter Hase, um nicht Vorverurteilungen zu befürchten. Bekanntlich gehe ich einem Gewerbe nach, das in hohem Maße mit Vorverurteilungen lebt. Ich muss für diesen Bericht sogar in eine Branche einsteigen, die in einem ungebührlich hohen Maß Vorurteile in Bargeld umsetzt: in den Journalismus. Wie Sie sehen, ist meine Lage vertrackt, denn eben diese Journalisten werden schneller zu atmen beginnen und hektisch nachfragen: »Wer hat das geschrieben?«

Ich merke, ich bin es nicht mehr gewohnt, mit der Schreibmaschine umzugehen, ich tippe »Satd« statt »Stadt« und »veilleicht« statt »vielleicht«. Ich könnte alles diktieren und die Bänder in ein anonymes Schreibbüro bringen. Das ist mir jedoch zu riskant. Ich will mich also verbergen – mit der Option, eines Tages aufzutauchen und zu bekennen: Ich bin es gewesen!

 

Es ist jetzt eine Stunde vor Mitternacht, die letzten sechzig Minuten des alten Jahres verstreichen. Immer häufiger schießen bunte Raketen in den Himmel. Ich wurde unterbrochen, weil Trude mich anrief. Trude ist meine Frau, und sie sagte mit dieser Packen-wir’s-an-Stimme: »Hör mal, du oller, arbeitswütiger Elefant, wann bist du morgen hier? Dann buddeln wir aus, was auszubuddeln ist. Vielleicht mögen wir uns ja noch. Wann kommst du?«

»Gegen Abend. Ich muss noch was Wichtiges aufarbeiten.«

»Und dann vier Wochen Ferien?«

»Dann vier Wochen Ferien«, bestätigte ich.

»Und du widerstehst auch deinem blöden Fraktionsvorsitzenden, wenn er anruft und dich in Bonn haben will, weil das Vaterland in Gefahr ist?«

»Ich widerstehe.«

Dann kam eine Frage, die mich erschreckte. »Sag mal, glaubst du, dass du noch Lust haben wirst, mit mir zu schlafen?« Sie lachte.

Ich gebe zu, ich war geneigt, einfach mit einem lapidaren Warum zu parieren, sagte aber dann: »Ich bin demnächst Rentner. Und soweit ich weiß, bist du auch jenseits der fünfzig.«

»Das macht nichts«, sagte sie hell. »Wie lange sind wir jetzt verheiratet?«

»Über dreißig Jahre. Ich habe jetzt nicht viel Zeit.«

»Fahren wir, bitte, über Lausanne, Genf, Lyon, Montélimar und so? Kann ich fahren? Und können wir in Aigues-Mortes darüber sprechen, ob wir miteinander schlafen wollen?« Sie hatte wahrscheinlich Angst, ich würde sie unterbrechen, und schnurrte hastig weiter: »Also, ich werde versuchen, ein Hähnchen mit Orangen zu füllen. Ich kann natürlich nicht so gut kochen wie Margit!«

Du lieber Himmel! Margit konnte überhaupt nicht kochen, und diese Geschichte ist neun Jahre her.

»Also gut, ich komme morgen, so schnell ich kann. Und rutsch gut ins neue Jahr!«

Sie sagte weich: »Alles Gute im neuen Jahr, du oller Elefant. Ich habe hier zwanzig Leute hocken, die eigentlich gehofft haben, ihren Bundestagsabgeordneten zu sehen.«

»Grüß sie alle von mir. Und ich freue mich darauf, mit dir zu reden.«

»Ich freue mich auch.« Sie seufzte und begann ganz sanft zu weinen, aber ihre Stimme war voll von einem kleinen Glück.

 

Der Lärm draußen geht langsam vorbei, der Himmel wird wieder, was er meistens ist, schwarz. Das neue Jahr hat begonnen, und für mich ist es ein besonderes Jahr. Ich werde als Abgeordneter ausscheiden und werde es gerne tun. Ich bin es leid, für dieses Volk meine Seele zu opfern. Einfacher ausgedrückt: Ich habe die Nase voll.

Ich werde meinem Nachfolger Platz machen und inständig hoffen, dass er scheitert. Ich mag meinen Nachfolger nicht, er trägt Lederkrawatten zu Armani-Jacketts und versteht den Eindruck zu vermitteln, dass er alle Lösungen aus dem Ärmel schüttelt.

Letztlich scheitern die Arroganten meist an ihrer eigenen Dummheit. Mich ärgert nur, dass ich ihm zu häufig väterlich wohlwollend zulächle, wenn seine Plattheiten aus ihm heraussprudeln. Im Ortsverein verkündete er unlängst: »Man muss den Menschen von heute auch zugestehen, dass sie adrett gekleidet durchs Leben gehen wollen.« Darunter versteht er Sozialpolitik.

Ich habe Ihnen versprochen, mich zu verbergen. Sie vermuten, Sie könnten mich entlarven. Sie denken: Jemand, der in der Silvesternacht in seinem Abgeordnetenbüro hockt, ist leicht zu identifizieren. Nun, den Plan, diesen Bericht zu schreiben, fasste ich nicht in einer Silvesternacht und auch außerhalb meines Bonner Büros.

Es ist richtig, ich bin seit fast zwanzig Jahren Abgeordneter in Bonn, es ist auch richtig, dass ich bald aus diesem Amt ausscheiden werde. Das werden wir gleich haben!, meinen Sie resolut. Lassen Sie es lieber bleiben, denn mit mir zusammen werden etwa zweihundert Frauen und Männer den Dienst quittieren.

Meine Frau heißt auch nicht Trude und sie nennt mich niemals liebevoll »oller Elefant«, wenngleich ich mir das zuweilen wünsche. Wir haben kein Ferienhäuschen im französischen Aigues-Mortes, und soweit ich weiß, hat meine Frau noch nie versucht, ein mit Orangen gefülltes Hähnchen zu braten. Es ist richtig, ich hatte vor neun Jahren kurzfristig eine Geliebte, aber sie hieß nicht Margit und wohnte nicht in Bonn.

Sie könnten jetzt auf die Idee kommen, meine Sprache zu untersuchen, um daraus Rückschlüsse auf meine Parteizugehörigkeit zu ziehen. Bei dem rhetorischen Einheitsbrei, den die Regierung in Bonn anrührt, ist das ein schlichtweg aussichtsloses Unterfangen. Nachdem sich ein Abgeordneter der Freien Demokraten von einem Fahrer des Bundestages in einen Kölner Puff fahren ließ und den Mann vergatterte, »zwei oder drei Nümmerchen lang« zu warten, scheint es mir unmöglich, parteispezifische Verhaltensmuster festzuzurren. Gleiches Recht für alle, Sie verstehen schon …

Fairerweise will ich Ihnen jedoch erklären, wie ich an die Geschichte von Jobst Grau gekommen bin. Lange bevor jemand daran dachte, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen, habe ich die ganze dreckige Story erfahren. Bemerkenswerterweise von einer sehr intimen Kennerin der Berliner Vorgänge. Die Frau war sehr clever, sie kam nicht in mein Abgeordnetenbüro nach Bonn, sondern besuchte mich in meinem heimischen Wahlkreis, in dem ich einmal pro Monat eine Bürgersprechstunde abhalte. Ich war wütend. Ich wollte dem Mann auf der Straße reinen Wein darüber einschenken, wie rücksichtslos Politiker in Bonn schalten und walten. Wie sie Wahrheiten unterdrücken oder so lange hin und her wenden, bis sie ihnen in den Kram passen.

Ich will ehrlich sein: Zunächst glaubte ich ihr kein Wort. Ich schimpfte sie insgeheim eine hemmungslose, neurotische Spinnerin. Als sie aber einen jungen Mann, der laut Zeitungsmeldungen einem Herzversagen erlegen war, als »mafios getötet« bezeichnete und erklärte: »Den hat man mit siebzehn Messerstichen umgebracht und anschließend zur Besichtigung freigegeben«, wurde ich aufmerksam.

Entweder war die Frau total krank oder es war etwas Wahres in ihren Worten. O-Ton der Zeugin: »Dauernd war die Rede von zwei Männern, die bei der Brandkatastrophe umgekommen sind. Stimmt gar nicht. Die waren schon tot, ehe der Brand gelegt wurde. Und es waren drei!« Die Frau senkte den Stachel des Zweifels in meine Seele.

 

In Berlin gab es viel politischen Lärm, weil der Bundesnachrichtendienst in froher Runde mit den verspielten Jungs vom amerikanischen DEA (Drug Enforcement Administration. US-amerikanischer Geheimdienst zur Drogenbekämpfung; als einziger seiner Art dem Finanzministerium unterstellt, operiert weltweit) im Chaos versank. Es war, als hätte man eine Horde tollwütiger Füchse durch die Stadt gejagt. Schließlich wurde kleinlaut und hinter vorgehaltener Hand ein Untersuchungsausschuss gefordert, und diese Frau fiel mir wieder ein.

Ich rief, deutlich mein Amt hervorhebend, aber unter falschem Namen, den zuständigen Berliner Staatsanwalt an. Es gab einen kurzen, heftigen Wortwechsel, den ich meinen Lesern nicht vorenthalten möchte.

»Oh«, sagte er gedehnt, »ausgerechnet ein Abgeordneter aus Bonn! Nun ja, auch uns hat mittlerweile die Nachricht erreicht, dass Markus Schawer keineswegs an Herzversagen starb, sondern mit ein paar Messerstichen ins Jenseits befördert wurde …«

»Siebzehn, Herr Staatsanwalt, siebzehn!«, brüllte ich ins Telefon.

»Das habe ich auch gehört.« Er seufzte. »Es kommt ja noch erschwerend hinzu, dass Markus Schawer gar nicht Markus Schawer war, sondern …«

»Wie bitte?«

»Na ja, angeblich war Markus Schawer ein Jungdiplomat des Auswärtigen Amtes und hieß in Wirklichkeit Ulrich Steeben. Aber das Auswärtige Amt streitet das ja ab, wie Sie sicher wissen …«

»Was haben Sie denn unternommen?«

»Na ja, Anzeige gegen unbekannt erstattet, zunächst wegen Verdachts auf Totschlag, wie immer eben.«

»Mein Gott, der Tote hatte sein Geschlechtsteil im Mund …«

»Ja, ja, das ist mir auch zu Ohren gekommen. Aber was sollten wir denn machen? Wir haben diesen Toten ja niemals …«

»Herr Staatsanwalt, was ist denn wirklich passiert?«

»Das wissen wir eben nicht, Herr Abgeordneter. Als wir auf die Sache aufmerksam wurden, war die Leiche schon verbrannt.«

»Prima«, sagte ich erheitert, »prima!«

 

Vielleicht können Sie sich jetzt vorstellen, was passiert ist, als dieser Untersuchungsausschuss in Bonn konstituiert wurde und seine Sitzungen aufnahm. Ich besorgte mir die Protokolle auf Umwegen, da das Thema innere Sicherheit absolut nicht mein Feld ist. Ich las atemlos, was die hohen Damen und Herren miteinander beredeten, wen sie befragten und zu welchen Schlüssen sie kamen. Ich war entsetzt, was sie alles übersehen und wen sie nicht angehört hatten.

Ob Sie es glauben oder nicht: Keiner der wirklichen Akteure in diesem höchst dreckigen und blutigen Krieg wurde als Zeuge einvernommen. Das wäre auch viel zu riskant gewesen, denn sie kochten alle ihr Süppchen. Die Ausschussmitglieder suchten sich für ihre langen Verhandlungen exakt die Zeugen aus, die garantiert nicht einmal annähernd begriffen hatten, um was es eigentlich ging. Sie wollten alle nur eins: den alten, bequemen Zustand wiederherstellen.

Noch etwas muss ich erwähnen. Sie werden erstaunt sein, dass ich bestimmte Dialoge präzise beschreibe, obwohl ein Teil der Gesprächspartner längst tot ist, also nicht mehr befragt werden konnte.

Sie müssen mir in diesem Punkt vertrauen: Ich habe kein einziges Gespräch um der Spannung willen erfunden oder des Kitzels wegen verändert. Zuweilen werden Sie sich verblüfft fragen, woher ich denn diese oder jene Einzelheit wissen kann. Nun, meine Recherchen waren sehr genau, und immerhin verfügte ich über einige ernst zu nehmende, verantwortungsbewusste Zeugen.

Ein Beispiel: Der Held der Geschichte, Jobst Grau, schlief mit seiner zeitweiligen Lebensgefährtin ein einziges Mal auf einem Bettvorleger. Die Dame nahm anschließend diesen Bettvorleger und stopfte ihn in die Waschmaschine. Woher ich das weiß? Diese Dame führt seither in Bonn den Spitznamen ›die Trockenschleuder‹ …

Und was ist nach all den Befragungen und Untersuchungen geblieben? Geblieben sind Menschen, die heilfroh sind, dass die Ausschusssitzungen so gewollt ergebnislos verlaufen sind. Menschen, die jetzt wieder ihren Geschäften nachgehen und langsam zu den alten Praktiken zurückfinden: zu Grausamkeit, Brutalität und Einschüchterungsversuchen.

Und dann gab es noch eine witzige Lovestory, so unglaublich Ihnen das erscheinen mag. Sie ist der tröstliche Aspekt der Angelegenheit, die immerhin mindestens sechs Menschenleben forderte – wie viele genau, weiß ich noch immer nicht.

Der letzte Bericht, der mich ebenfalls auf Umwegen erreichte, besagt, dass Held und Heldin sich in der Nähe von Nizza ausruhen. Wörtlich heißt es: »Grau und Kern erholen sich. Die Frau scheint weitgehend schmerzfrei zu sein. Manchmal schiebt er sie in ihrem Rollstuhl im Laufschritt am Strand entlang. Sie albern herum, was lächerlich wirkt. Im Hotel verlassen sie selten das Zimmer. Das Personal ist eifrig bemüht, sie in allen Punkten zufriedenzustellen. Ein von mir befragtes Zimmermädchen erklärte naiv: ›Wir achten darauf, dass Frau Kern wieder in Form kommt. Dazu ist es notwendig, sie aufzupäppeln. Sie macht am Tag mehrere Male Liebe, und das tut ihr besonders gut.‹ Eine ernst gemeinte Lebensplanung konnte ich bei beiden zu Observierenden nicht feststellen. Irgendwelche Treffen im Sinne von den Staat zersetzender Arbeit fanden wohl nicht mehr statt.«

Natürlich wollen Sie wissen, wer diese Berichte schrieb. Sie stammen von einem zweiundfünfzigjährigen Außenagenten des Bundesnachrichtendienstes in Pullach mit einer starken Neigung zu Bluthochdruck und ständigen Magengeschwüren. Nun könnte es sein, dass Sie diesen Bericht im Kreise Ihrer Lieben diskutieren wollen. Ich sollte meine Identität preisgeben, weil Sie streng genommen nicht einmal wissen, ob ich eine Frau oder ein Mann bin, nicht wahr? Nun gut: Nennen Sie mich für die Dauer der Lektüre einfach ›Onkel Hermann‹. Wir werden uns ohnehin nie kennenlernen.